Donnerstag, 28. März 2024

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Musikalischer Gottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag

(cr) (khm) In Eberbach wurde am zweiten Weihnachtsfeiertag in der Evangelischen Michaelskirche unter der Leitung von KMD Achim Plage die sechste Kantate aus Bachs “Weihnachtsoratorium” (1734/35) im Rahmen des festlichen, gut besuchten Gottesdienstes geboten mit den Gesangssolisten Carolin Albert (Sopran) und Jun Won Lee (Tenor), der Evangelischen Kantorei und der Heidelberger Kurpfalzphilharmonie als Ausführenden.

Die sechs Kantaten waren in Bachs Zeit auf sechs Gottesdienste hin verteilt: die drei Weihnachtsfeiertage, den Neujahrstag, den folgenden Sonntag und das Erscheinungsfest am 6. Januar (sechste Kantate). Da man drei Kantatenabschnitte (“Weihnachtsgeschichte“ I-III; “Beschneidung und Namenstag Jesu“ IV und “Drei Könige“ V-VI) annimmt samt Grundaussagen “Ankunft des Erlöserkönigs“, "christliche Hoffnung auf Ende des Todesschreckens“ und “Sieg des Erlöserkönigs“, kann man wohl zum Beschluss des Weihnachtsfestes die “Sieg” verkündende sechste Kantate in den Gottesdienst des zweiten Feiertags einfügen, zumal in der Liturgie (Gemeindegottesdienstgestaltung) durch Dekan Ekkehard Leytz mit passenden Liedern (GB 23, 37,39) und Psalm 96 eine ansprechende Aktualisierung der Kantatenaussagen erfolgte. Sie handeln vom “Sieg” der Weihnachtsbotschaft über Unrecht und Grausamkeit, die hier durch die Person des Herodes vorgestellt sind. Frieden- und Gerechtigkeit mögen gerade in unserer Zeit wieder gefährdet sein, aber dieser Gefährdung sich zu widersetzen bleibt Aufgabe und Ziel, wie die Kantate es - vielleicht zu gewiss - feiert, etwa wenn man Anfang und Schluss dieser sechsten Kantate hört, wo Bach zuerst die anspruchsvolle Chorfuge "Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben" mit glanzvoll virtuosem, volltönendem Trompetenkonzert samt prunkendem Paukenklang verbindet und dann im Schlusschoral die Solotrompete brillant ihre schnellen Figuren in fast zu atemberaubendem Prestissimo vollführt hat. Der Chor seinerseits meisterte bei aller Orchesterwucht seinen Part beifallswert angesichts der häufigen Koloraturen, Fugierungen und Imitierungen, die kaum ein “homophones” Ausruhen erlaubten. Etwas mehr Binnendifferenzierung an den trompetenlosen Stellen hätte diese etwas von den viel Effekt zeigenden Eckteilen abheben können.

Nach der einleitenden Chorfuge der Auftritt von Jun Won Lee (Tenor) als Evangelist, immer wieder arios, rezitativisch und dramatisierend gleichermaßen geschickt agierend zusammen mit der Continuo-Gruppe, die über die ganze Aufführung hinweg das sichere Fundament lieferte. Er stellte Herodes vor, dessen Worte der Dirigent-Tenor Plagge übernahm. Davon setzte sich ab durch ihren beschwingt freudigen Charakter nach stolzem Rezitativ die klangvoll von Carolin Albert vorgetragene Sopranarie "Nur ein Wink von deinen Händen stürzt ohnmächtger Mensch Macht". Auf den Evangelistenbericht von den drei Königen der ebenso schlichte wie unsterbliche Choral (Kirchenlied) Paul Gerhardts (1653) "Ich steh an deiner Krippen hier" mit der späteren Bach-Melodie (1736), die, beim ersten Gottesdienst in Leipzig von der Gemeinde wohl mitgesungen, hier in Eberbach im Verlauf des Gottesdienste weiter gesungen wurde.
Die Könige kehrten nicht zu Herodes zurück, nahmen einen anderen Heimweg. Dazu die mit zwei Oboen recht konzertmäßige Tenorarie "Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken", in der mit energischer Melodieführung Jun Won Lee schon den Triumph über das Böse ausdrücken konnte.
Die Melodie des nun folgenden prunkvollen Schlusschorals “Nun seid ihr wohl gerochen (gerächt)“ in D-Dur (1734) ist die des Passionslieds “O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhardt (1656). Ursprünglich ein Liebeslied, wurde es von Bach in der Matthäus-Passion (1729) in bangem d-moll verwendet und auch im Adventslied (Weihnachtsoratorium, Kantate I) “Wie soll ich dich empfangen“ ist sie zu hören. Sie ist inzwischen so auf das Leiden Christi fixiert, dass ein unbefangenes Hören kaum noch möglich ist. Im beschließenden Choral (Kirchenlied) - nicht Chor genannt, weil textlich eine Kirchenliedstrophe vorliegt (4. Strophe aus "Ihr Christen auserkoren" von Georg Werner (1607-1671)) - wird hier diese Melodie in frohgemutem D-Dur bravourös von virtuoser Trompete effektvoll umspielt und unterbrochen. Könnte dieser Triumphalismus der Ausdruck siegreicher Erlösungsfreude über die niederdrückende Passionstrauer sein, die das Adventslied (1. Kantate) schon vorempfunden hätte? Dürfen wir solchen Eindruck heute haben?

Es folgten herzlicher Beifall und zum Gottesdienstschluss eine erneut gefeierte Wiederholung der imponierenden Chorfuge vom Kantatenbeginn.

27.12.18

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